INTERVENTION: DRUCKAKTION
Arbeit
Globalisierung, Digitalisierung verändern die Arbeitswelt. Demografischer Wandel, Bildung und Migration verändern Werte und Ansprüche. Während die einen – einmal mehr – befürchten, dass Berufe und ihre Arbeitsstelle verschwinden, verlegen sich die anderen aufs Lob der Chancen von zeitlich und örtlich unabhängigen Arbeitsmodellen, die Entlastung des Menschen durch die Maschine und die Konzentration auf die Schaffung von «Bedeutsamem», vorausgesetzt, der Imperativ des lebenslangen Lernens sei ausreichend verinnerlicht.
Die Kunstaktion
Vom 24. bis 26. Oktober 2019 begegnete die Bevölkerung im Kanton Solothurn auf verschieden Kanälen der Kunstaktion mit Fragen zu ihrem Verhältnis zur Arbeit. Die Fragen erschienen im Bus, waren auf der Front der Tageszeitung zu lesen, sie wurden den Pendler*innen an Bahnhöfen und sonstigen Passantenlagen mitgegeben, sie erklangen sogar im Radio.
Am Samstag, 26. Oktober 2019 fand an vielbegangenen Orten eine Druckaktion im öffentlichen Raum statt:
Grenchen, Markplatz; Solothurn, Kreuzacker; Balsthal, unter der Arkade der Gemeindeverwaltung; Egerkingen, Gäupark; Olten, Holzbrücke, Flohmarkt
Wer bist Du ohne Arbeit?
Das Solothurner Kulturprojekt «Verschiebungen 18/18» greift mit seiner letzten «szenografischen Annäherung an den Landesstreik» das Thema «Arbeit» auf. Im Fokus verschiedener Aktionen im ganzen Kanton steht die Bedeutung welche Arbeit heute für uns hat. Die Bevölkerung im Kanton Solothurn ist dazu eingeladen, sich gemeinsam über die eigene Beziehung zur Arbeit auseinanderzusetzen.
Mit dieser Aktion verabschiedet sich das Team von «Verschiebungen 18/18. Eine szenografische Annäherung an den Landesstreik». In den letzten vier Jahren hat es im Kanton Solothurn mit Bodenklebern mit den Forderungen des Landesstreiks und Hörstücken (2016), mobilen Denkmälern für Frauen (2017) und Chorauftritten (2018) Brücken zwischen den Ereignissen vor 100 Jahren und heute geschlagen.
Konzept und künstlerische Gestaltung
Alina Mathiuet, Simone Mutti, Sarina Pfluger
Historische Begleitung
Edith Hiltbrunner
Koordination und Kommunikation
Lisa Nyffeler
Tonaufnahmen, Jingles
Dominic Röthlisberger
Webseite und Sprecher Jingle
sam mosimann
Fotos
Eve-Marie Lagger (Olten), Gabriela Pavanello Weyermann (Solothurn)
Künstlerische Leitung, Texte Arbeitswelt
Liliana Heimberg
Herzlichen Dank für die Mitwirkung bei den Aktionen im öffentlichen Raum
Ivo Bühler, Rosemarie El Kamel, Res Epper, Yesco Fábregas, Albert Gassmann, Anton Strittmatter, Anja Wahl, Altay Zulfi
Herzlichen Dank für die persönlichen Geschichten aus der Arbeitswelt
Simon Beer, Markus Eichenberger, Angelina Rudin, Anton Strittmatter
Herzlichen Dank für das Interview
Prof. Dr. Barbara Prainsack
www.verschiebungen18-18.ch
Interview mit Frau Prof. Dr. Barbara Prainsack
Frau Prof. Dr. Barbara. Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität in Wien. Sie ist Mitglied der Ethikkommission an der Universität Wien, Mitglied der Österreichischen Bioethikkommission, und der Europäischen Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien (dem Beratungsgremium der Europäischen Kommission).
Verschiebungen 18/18: Im ersten und einzigen landesweiten Streik der Schweizer Geschichte im November 1918 gingen 250 000 organisierte Arbeiter*innen auf die Strasse. Sie forderten u.a. die Senkung der Wochenarbeitszeit von 59 Stunden auf 48 Stunden. Weiter forderten sie -zusammengefasst – mehr soziale Sicherheit, eine Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit und Beteiligung an der politischen Macht.
Zwar wurde der Streik nach wenigen Tagen bedingungslos abgebrochen. Die wichtigsten Ziele aber wurden im Laufe des letzten Jahrhunderts nach und nach verwirklicht.
Wir befinden uns auch heute in einem Umbruch, der u.a. mit Veränderungen der Arbeitswelt einhergeht. Welches sind die wichtigsten Einflussfaktoren, die diesen Wandel bewirken?
Dr. Prof. Barbara Prainsack: Als Hauptursachen werden gemeinhin Globalisierung, demographische Entwicklungen – Stichwort alternde Gesellschaften – und technologischer Fortschritt gesehen. Hier spielen insbesondere die Digitalisierung und Automatisierung eine Rolle. Es ist aber wichtig, anzumerken, dass das Problem nicht die Roboter sind, die uns «die Jobs stehlen». An der Tatsache, dass Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können, sind nicht Maschinen schuld. Die Ursache dafür ist eine Politik, die es möglich gemacht hat, dass soziale Ungleichheiten innerhalb unserer Gesellschaft wachsen, dass Löhne nicht mit den Produktivitätszuwächsen mithalten, und dass Kapital weit größere Einkünfte schafft als Arbeit.
Zudem müssen wir uns vor Augen halten, dass die Rolle der Arbeit in unserer Gesellschaft sich ständig im Wandel befindet; dies ist kein Novum unseres Jahrhunderts. Auch den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen hat es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gegeben. Wenn in Europa die Arbeit knapp wurde sind Menschen früher ausgewandert – häufig in die so genannte Neue Welt. Diese Möglichkeit besteht heute nicht mehr – und ironischerweise gehen wir heute in Europa mit Menschen, die auf der Suche nach Arbeit und einer besseren Existenz sind und daher zu uns kommen wollen, besonders hart um; als ob das nicht auch Teil unserer eigenen Geschichte wäre. Manche Kommentator*innen sehen einen Grund dafür darin, dass Menschen in Europa selbst Angst vor dem Verlust ihrer Existenzgrundlage haben. Das muss von der Politik ernst genommen werden. Die Lösung kann jedoch nicht darin bestehen, «Wirtschaftsmigration» zu dämonisieren, sondern wir brauchen eine Reform unserer politischen und sozialen Institutionen, die bewirkt, dass niemand die Existenzgrundlage verliert, wenn er oder sie von ihrer Arbeit nicht leben kann (bzw. keine bezahlte Arbeit findet).
Verschiebungen 18/18: Welche Berufsgruppen sind am stärksten betroffen? Welche Leistungen werden mittelfristig oder auf längere Sicht in der Gesellschaft stärker nachgefragt werden und womöglich neue Berufe hervorbringen?
Dr. Prof. Barbara Prainsack: Wir gehen davon aus, dass Tätigkeiten, die immer nach demselben Muster ablaufen am einfachsten zu automatisieren sind. Das widerspricht der landläufigen Meinung, dass manuelle Berufe am stärksten vom Verschwinden bedroht sind. Es gibt tatsächlich manuelle Berufe, in denen hauptsächlich vorhersehbare, routinemäßige Tätigkeiten verrichtet werden, wie z.B. manche Formen der Fließbandarbeit. Gleichzeitig gibt es jedoch andere stark von manuellen Tätigkeiten dominierte Berufe, die nicht leicht zu automatisieren sind, weil sie aus vielen unterschiedlichen Tätigkeiten besteht die ineinandergreifen und deren genauer Ablauf oft nicht vorhersehbar ist. Ein Beispiel dafür ist die Pflege, aber auch die Reinigungsarbeit. In Berufen, in denen die geistige Arbeit dominiert, sehen wir eine ähnliche Diversität: Jurist*innen und Radiolog*innen etwa prophezeit man, dass ein Großteil ihrer bisherigen Tätigkeiten zukünftig von Maschinen verrichtet werden. Leute, die kreative Berufe ausüben müssen sich den Vorhersagen nach weniger vor der Automatisierung fürchten.
Ich persönlich glaube, dass nur wenige Berufe vollkommen verschwinden werden, sondern dass viele Berufe eine Umgestaltung erfahren – so wie das auch bisher in vielen Berufsgruppen der Fall war – man denke an Buchhalter*innen oder Bankangestellte. Radiolog*innen werden zukünftig weniger Zeit damit verbringen, Diagnosen zu stellen, und mehr Zeit mit der Begleitung von Therapie durch bildgebende Verfahren. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass Automatisierung und Digitalisierung auch völlig neue Jobs schaffen. Wo mehr Maschinen im Einsatz sind, braucht es Menschen zur Kontrolle, Korrektur, zur Wartung, und zur Weiterentwicklung. Man denke aber auch an Zustelldienste, die in der so genannten Gig-Ökonomie florieren, an App-Entwickler, oder auch an «Influencer» auf sozialen Medien. Manche dieser Berufe gab es vor zehn Jahren noch gar nicht. Ob diese Entwicklung eine ist, die wir als Gesellschaft gut heißen, und wie Menschen in solchen Berufen behandelt und abgesichert sind, steht auf einem anderen Blatt. Was wir dringend brauchen, ist eine Neubewertung der Frage, welche Berufe und Tätigkeiten für unsere Gesellschaft wertvoll sind. Und dann müssen wir sicherstellen, dass Menschen, die diese Tätigkeiten ausführen, gut leben können. Im derzeitigen System verdienen oft jene, die für die Gesellschaft wenig Wert schöpfen – man denke an Makler oder Investment-Banker – am meisten, und jene, die extrem wertvolle Tätigkeiten verrichten, wie Altenpfleger*innen oder Lehrer*innen, verdienen wenig oder im Extremfall gar nichts. Hier braucht es ein Umdenken, und es braucht auch neue Institutionen und Instrumentarien.